Das Regenwurmlager

 (Vorabveröffentlichung aus der philatelie 426 - Dezember 2012)

 

 Die vierte bekannte Variante des R-Zettels "Regenwurmlager"

 

Vor einigen Wochen stieß der Autor in einem Auktionskatalog auf die Beschreibung eines Loses, das neun angebotene Belege mit dem Aufgabestempel mit Ortsangabe "Regenwurmlager" anbot. Die Neugier über diesen deutschen Tagesstempel mit der ungewöhnlichen Ortsangabe "Regenwurmlager" war geweckt.

Der Tagesstempel mit der ungewöhnlichsten Ortsangabe "Regenwurmlager"

 

Was nun hinter dem nicht alltäglichen Tagesstempel steckt wurde recheriert und wird in folgendem Artikel näher vorgestellt.

 

Die Recherche

Natürlich wurde bei der Auktionsbesichtigung auch der Posten "Regenwurmlager" betrachtet, obwohl er nicht zum Sammelgebiet des Autors gehört. Die ungewöhnliche Zusammenstellung diees kleinen Postens reizte dazu, mitzubieten. Nach erfolgreicher Ersteigerung und Ankunft zu Hause wurde zuerst alles zeitlich sortiert und anlaysiert. Der Posten bestand aus acht Feldpostbriefen, daovn sieben Einschreiben und einer Feldpostkarte.

Textseite einer Ansichtspostkarte vom Regenwurmlager, wenige Wochen vor Kriegsende vom 30. November 1944 mit dem Stempel "Regenwurmlager über Messeritz" an Kurt Zirkenbach

 

Von den sieben Einschreiben hatten fünf unterschiedliche R-Zettel fast immer auch mit der Ortsangabe Regenwurmlager. Alle Belege waren mit dem Tagesstempel "Regenwurmlager über Meseritz" versehen. Was hatte es nun mit dieser ungewöhnlichen Ortsangabe auf sich? Wo lag dieser Ort, von wann bis wann gab es diesen Stempel und diese dazu passenden R-Zettel? Mit klassischen Methoden wie der Besichtigung einer Bibliothek wäre man zwar auch weiter gekommen, aber es wäre zeitlich sehr aufwendig geworden. Das heutige Internet führt hier viel schneller zu neuen Erkenntnissen. Allerdings muss man auch diese Ergebnisse richtig interpretieren, denn selbst bei Wikipedia ist nicht alles richtig, was dort steht. Die Angaben sind stets nur so genau, wie die Kompetenz der Experten, die diese ins Netz stellen.

Wikipedia verweist auf eine Liste mit Truppenübungsplätzen aus Zeiten des 3. Reichs, zu denen auch das Regenwurmlager gehört hat. Weitere hilfreiche Angaben sind nicht enthalten. Allerdings findet man in der Google-Trefferliste weit oben eine Auskunft "Truppenübungsplatz Regenwurmlager - Lexikon der Wehrmacht". Diese Angaben sind kurz und informativ und sollen daher im Folgenden kurz zitiert werden:

Das Regenwurmlager lag nördlich des Nischlitzsees, hinter Hochwalde und acht Kilometer südwestlich von Meseritz im Oder-Warthe-Bogen unweit der Ortschaft Nipter. Das Lager entstand als zweites Lager, nördlich vom Tiborlager, im Oder-Warthe-Bogen im Jahr 1938. Seinen Namen erhielt es von dem Flüsschen Regenwurm, der in der Nähe fließt. Es wurde nötig, da in der Befestigungslinie im Oder-Warthe-Bogen nur wenige Einheiten vor dem Ostwall für eine Mobilmachung bereitlagen. Im Lager wurden Waffen und Ausrüstung für einen möglichen Mobilmachungsfall vorgehalten. Das Lager war ein Grenzübungslager. Zum einen erfolgte hier eine ganz normale Ausbildung der Festungstruppen, zum anderen war es als Reservelager hinter der Festungsfront und als Ruhelager eingerichtet. Zum Lager gehörte anscheinend auch die Grenzschutzbefestigungsanlage III. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nutzten zuerst polnische Truppen das Lager. 1956 übernahmen dann sowjetische Truppen das Lager. Heute ist das Lager eine Waldstadt zum Wohnen (Zitat Ende)

Der Ort Meseritz heute polnisch "Miedzyrecz" wurde am 31. Januar 1945 von der russischen Armee eingenommen. Die genannte "Grenzschutzanlage III" war circa 65 Kilometer lang und verfügte über einen 30 Kilometer langen Verbindungstunnel.

Auch bezüglich des benachbarten Tiborlagers gibt es diesbezüglich eine etwas kürzere aber genauso informative Auskunft. Dieses Lager wurde allerdings schon 1934 errichtet. Bei beiden Lagern soll es sogar Schwimmbäder gegeben haben. Soweit einige Fakten laut Internet.

Ein Feldpost-Einschreiben vom Tiborlager über Schwiebus vom 13.4.1943

Der dazugehörige Absender - die Stammkompanie Grenadier Ersatz Bataillon 337 und der Ankunftsstempel

 

 

Postgeschichtliche Spuren

Diese kurzen, aber präzisen Aussagen helfen schon wesentlich weiter. Der Truppenübungsplatz wurde im Jahre 1938 angelegt und dürfte bis Kriegsende so ca. Anfang Januar 1945 benutzt worden sein. Es handelte sich hier um eine Postdienststelle innerhalb von militärischerseits genutzten Flugplätzen, Lagern oder Truppenübungsplätzen. Davon soll es zu Zeiten des 3. Reichs ungefähr 110 Orte gegeben haben, die nicht jedermann zugänglich waren. Nur dort stationierte Truppen oder zur Ausbildung befindliche Soldaten konnten bei diesen Postämtern Post aufgeben.

Teils waren dies Postämter, teils Poststellen I oder Poststellen II. Wie eine im Posten vorhandene Feldpostansichtspostkarte zeigt, waren im Wald auch verschiedene größere Kasernengebäude gebaut worden.

Die Bildseite der Ansichtspostkarte vom 30. November 1944 von einem der Gebäude des Regenwurmlagers

 

Irgendwo in einem dieser Gebäude wurde ein Postamt mit der ungewöhnlichen Ortsangabe "Regenwurmlager" eingerichtet. Nachweisbar ist dieser Stempel bei dem Posten auf alle Fälle vom 4. November 1942 bis zum 30. November 1944, also kurz vor Kriegsende. Er trägt den Unterscheidungsbuchstaben "a". Laut einer alten Aufstellung handelte es sich beim Regenwurmlager um eine Poststelle I, die von 1939 bis Januar 1945 bestanden haben soll. Organisatorisch gehörte diese zur Oberpostdirektion Frankfurt/Oder. Es ist nur ein Stempel mit dem Unterscheidungsbuchstaben "a" bekannt.

Der Tagesstempel mit der wohl ungewöhnlichsten Ortsangabe "Regenwurmlager" aus Deutschland

 

Im Vergleich dazu hatte der benachbarte "Truppenübungsplatz - Tiborlager" zwei Stempel, einmal mit dem Unterscheidungsbuchstaben "a" und einmal mit dem Unterscheidungsbuchstaben "b".

Tagesstempel "Tiborlager" mit Unterscheidungsbuchstaben "a"

Tagesstempel "Tiborlager" mit Unterscheidungsbuchstaben "b"

 

Ein Feldpost Einschreiben mit dem Tagesstempel "Tiborlager" mit Unterscheidungsbuchstaben "b" 

 

Allerdings verfügte dieses Lager nicht über so viele R-Zettelvarianten wie das "Regenwurmlager". Vom Tiborlager liegen nur zwei verschiedene R-Zettel vor, einmal einer mit "Tiborlager über Schwiebus" sowie kurz vor Kriegsende ein Provisorium "Buckow über Schwiebus" mit Gummistempel "Tiborlager" überstempelt.

R-Zettel mit der Ortsangabe "Tiborlager" über Schwiebus (Variante 1)

R-Zettel mit der Ortsangabe "Buckow" überstempelt mit "Tiborlager" über Schwiebus (Variante 2)

 

Ein Feldpost Einschreiben mit dem provisorischen R-Zettel Buckow über Schwiebus mit Buckow überstempelt mit "Tiborlager" wenige Monate vor Kriegsende

 

Es handelte sich um eine Poststelle I, die organisatorisch auch zur Oberpostdirektion Frankfurt/Oder gehörte und schon von 1937 bis zum Jahr 1945 existierte.

Das Regenwurmlager hatte nun bei den R-Zetteln eine erstaunliche Vielfalt von mindestens fünf verschiedenen Varianten in einem kurzen Zeitraum von nur zwei Jahren zu bieten. Beginnen wir mit dem ersten bekannten R-Zettel in zweizeiliger Anordnung "Regenwurmlager über Meseritz" (4. November 1942).

R-Zettel Regenwurmlager über Meseritz (Variante 1)

Der nachfolgende R-Zettel ist von der Chronologie her auch zweizeilig, aber die Schrift ist viel kleiner ( 22. Mai 1943).

R-Zettel Regenwurmlager über Meseritz (Variante 2)

Die dritte Variante war ein Provisorium, hier steht nur "über Meseritz" (7. Juli 1943).

R-Zettel über Meseritz (Variante 3)

Die vierte Variante lautet einzeilg nur "Regenwurmlager" (7. Januar 1944).

R-Zettel Regenwurmlager (Variante 4)

Die letzte bekannte Variante lautet nun zweizeilig "Regenwurmlager" (14. April 1944)

R-Zettel Regenwurmlager (Variante 5)

Einschreiben-Feldpostbrief vom 10. Mai 1944 mit der 5. bekannten Variante des R-Zettel in Form Zweizeiler "Regenwurmlager"

 

Absender waren bei diesen Feldposteinheiten, soweit erkennbar immer Teile des Grenadier Ersatz Bataillon 188.

Einschreiben-Feldpostbrief hier mit der 1. Variante des R-Zettels vom 4. November 1942 mit einer Absenderangabe auf der Vorderseite

Einschreiben-Feldpostbrief hier mit der 2. Variante des R-Zettels vom 22. Mai 1943

Die auf der Rückseite dazugehörige Absenderangabe für den Brief vom 22. Mai 1943

 

Resümee

Postgeschichtlich ergeben sich hier noch viele Fragen zu diesem nicht alltäglichen Fall, beispielsweise in welchem Monat wurde der Stempel erstmals im Jahr 1939 eingesetzt, wann wurde er letztmalig im Januar 1945 benutzt und wurde er zum Kriegsende kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee vernichtet?

Aber auch die Vielfalt von verschiedenen Einschreibzetteln in einem derart kurzen Zeitraum wirft doch einige postalische Fragen auf. Gibt es eventuell noch weitere R-Zettel Varianten. Wieso gab es dort einen so hohen Durchsatz von Einschreiben? Anhand der Nummern kann man davon ausgehen, dass es mindestens 500er Rollen oder sogar 1000er Rollen Einschreibzettel waren. Rechnet man nun nur mit 500er Rollen so ergibt sich ein Durchsatz von über 2500 Einschreiben in knapp zwei Jahren von diesem Truppenübungsplatz. Der normale Soldat, der dort stationiert war, zur Ausbildung oder zu einem kurzen Lehrgang war, dürfte nur in Ausnahmefällen ein Feldpost-Einschreiben an seine Liebsten verschickt haben. Hatte also die dortige Verwaltung so viele wichtige Sendungen zu verschicken, dass dieser hohe Bedarf von über 2500 Einschreiben zustande kam?

Unter dem jeweiligen Dienststempel befindet sich außerdem ein Einzeiler "Regenwurmlager", teils auch ein Zweizeiler "Regenwurmlager über Meseritz".

Einzeiler "Regenwurmlager über Meseritz"

Einschreiben-Feldpostbrief mit der 3. Variante des R-Zettels (dem Provisorium) vom 7. Juli 1943 hier mit einem Einzeiler unter dem Dienststempel

Zweizeiler "Regenwurmlager über Meseritz"

Einschreib-Feldpostbrief hier mit der 4. Variante des R-Zettels sowie mit dem Zweizeiler "Regenwurmlager über Meseritz" unter dem Dienststempel vom 23. März 1944

 

Ob es sich hier um postalische Stempel handelte oder Dienststempel zur genaueren Absenderangabe ist dem Autor nicht bekannt.

Unabhängig von diesem postgeschichtlichen Fragen bieten sich dieser Stempel sowie die R-Zettel natürlich auch sehr gut an, in einer thematischen Sammlung über Regenwürmer oder in anderen Sammlungen rund um das Thema Regenwurm eingebaut zu werden. Da diese Poststellen von Truppenübungsplätzen nicht für jedermann zugänglich waren, dürften entsprechende Belege mit Stempeln nicht so einfach zu finden sein. Noch schwieriger dürften entsprechende Feldposteinschreiben mit passenden R-Zetteln sein. Auf alle Fälle handelte es sich hier um einen Truppenübungsplatz mit dem wohl ungewöhnlichsten Namen in Deutschland. Betrachtet man weiter die Textseite der gezeigten Ansichtspostkarte vom Regenwurmlager genauer, so wird dem einen oder anderen vielleicht der Empfänger auffallen. Diese Ansichtspostkarte ging an Kurt Zirkenbach, einen bekannten Philatelisten aus DDR-Zeiten, also auch in dieser Hinsicht ein nicht alltäglicher Zeitbeleg.

 

Arbeitsgemeinschaften

Wer sich für klassische R-Zettel oder generelll für Einschreiben und oder auch für moderne Barcodelabel interessiert, der findet bei der Arge R- + V-Zettel vielfältige Informationen. Ansprechpartner zur Arge finden Sie auf deren Homepage www.arge-r-v-zettel.de