10 Jahre Briefzentrum Frankfurt 

(erschienen in Das Archiv - Magazin für Post- und Telekommunikationsgeschichte - Heft 1 - 2006)


Am 27. November 1996 wurde im Rahmen des Konzeptes "Brief 2000" das Briefzentrum 60 in Frankfurt am Main offiziell eingeweiht. Wie es dazu kam und wie es sich bewährt hat, beschreibt Jürgen Olschimke.

Die Umwandlung der Bundespost von einer Behörde in ein Wirtschaftsunternehmen und die Auswirkungen der deutschen Einheit erforderten Anfang der 1990er-Jahre weitergehende Reformen. So wurde die Post im Rahmen dieses Prozesses in die Geschäftsbereiche Briefpost, Frachtpost, Postfilialen und internationale Post aufgeteilt und es wurde einen neue und getrennte Betriebsstruktur für Fracht- und Briefpost aufgebaut. Zunächst wurde dafür der Frachtpostbereich modernisiert. Bis Juli 1995 entstanden auf der grünen Wiese 33 Frachtzentren. Für die Briefpost wurde das Konzept "Brief 2000" entwickelt, da aus zwei Grundelementen besteht. Das erste ist die Einführung der vier Basisprodukte Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibrief zum 1. April 1993. Das zweite Element war der komplett neue Aufbau von 83 hoch automatisierten Briefzentren. Dort wird die abgehende Post aus der Region in alle Welt und die eingehende Post aus aller Welt in die Region bearbeitet. Eine Voraussetzung für den Aufbau der neuen Briefzentren war die Einführung der neuen Postleitzahlen im Juli 1993.

Das neue Logistikkonzept der Post

 

Da in jeder Leitregion unterschiedlich große Briefmengen zu bearbeiten sind, wurden die neuen Briefzentren in fünf Größen eingeteilt. Die kleineren Briefzentren (Größe S, M, L) arbeiten "durchlauforientiert". Die Post wird links angeliefert, durchläuft auf ihrem Weg durch das BZ die entsprechende "Produktionsstraße" nach rechts und wird am Ende zum Weitertransport bereitgestellt. Die Behälter werden vom Personal von Sation zu Station transportiert.

Lageplan des Briefzentrums Frankfurt

 

In den großen Briefzentren wie beispielsweise Frankfurt (Größe XL, XXL) wird "umlauforientiert" gearbeitet. Die zu bearbeitende Post wird im Ein- oder Ausgangsbereich Roboterstationen zugeleitet, die die Behälter auf eine Förderanlage setzen. Diese leiten jeden Behälter vollautomatisch zum jeweiligen Bearbeitungsplatz. Zusätzlich wird eine Kommissionierungsanlage benötigt, die die Behälter automatisch den richtigen Lkws zuordnet. Damit alles reibungslos funktioniert, musste ein neues Behältersystem entwickelt werden, bei dem jeder Behälter durch einen maschinenlesbaren Infoträger gekennzeichnet ist.

Die ersten Pilotzentren wurden bereits 1993 in Münster (48) und Straubing (94) errichtet, das bislang letzte Briefzentrum Regensburg (93) wurde Ende 1998 in Betrieb genommen. Die Gesamtinvestionssumme betrug 3,9 Milliarden Mark, wovon 100 Millionen auf das Briefzentrum Frankfurt entfielen. Durch diese Investion konnten an anderer Stelle große Einsparungen erzielt werden. So gibt es nur noch 83 Briefzentren statt 1000 Bearbeitungsstellen, und statt der bisher 150 000 täglichen Fahrten sind nur noch 50 000 Fahrten nötig, um dasselbe Transportvolumen zu bewältigen.

Bedingung für dieses Konzept war ein neues Transportnetz. Dieses besteht aus drei unabhängigen Teilen. Den wichtigsten bildet das Regelnetz, bestehend aus dem Vorlauf, dem Hauptlauf (teils mit Flugzeug-Nachtluftpostnetz) und Nachlauf für die Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe. Damit der Brief am nächsten Tag in Deutschland zugestellt werden kann, muss ein genau bestimmter Zeittakt eingehalten werden. Vom Postkasten oder der Postfiliale bis zum Briefzentrum ist die erste Strecke zu bewältigen - der Vorlauf. Im Briefzentrum muss der Brief für den Abgang (BZA) bearbeitet werden. Spätestens ab 21.30 Uhr ist der Brief per Lkw und/oder Flugzeug zum nächsten Briefzentrum unterwegs - der Hauptlauf. Nach der Sortierung als Eingangspost (BZE) ab 5.30 Uhr geht der Brief zum Zustellstützpunkt (ZSP) des Briefträgers oder zum Postfach - der Nachlauf. Damit der Ablauf funktioniert, muss der Transport vom BZA zum BZE innerhalb eines Zeitfensters von ungefähr fünf Stunden bewältigt werden. Dieser Zeittakt führt dazu, dass die Briefkästen je nach Standort früher oder später geleert werden müssen. Der "Richtungsbriefkasten" befindet sich jetzt also vor dem entsprechenden Briefzentrum. Hier kann die Post noch um 20.30 Uhr eingeliefert werden, um am nächsten Tag beim Empfänger zu sein. Daneben gibt es spezielle Transportnetze für Infopost und für eilige Pressepost.

So fing es an: Frühe automatische und vollautomatische Briefverteilanlage in München 1956 (Foto aus Bestand des Postmuseums Frankfurt)

 

So fing es an: Frühe automatische und vollautomatische Briefverteilanlage in Pforzheim 1955 (Foto aus Bestand des Postmuseums Frankfurt)

 

Die Ausstattung der Briefzentren

Ein weiterer Kernpunkt der Automatisierung ist die Erhöhung der maschinellen Sortierung von vorher 25 auf 85 Prozent in den Briefzentren. Dazu wurden die damals weltweit modernsten Großbriefsortieranlagen (GSA) eingesetzt. In Frankfurt sind acht Anschriftenlesemaschinen (ALM) der Firma AEG Electrocm (jetzt Siemens) vorhanden. Jede dieser Maschinen kann, bedient von zwei Leuten, je Stunde bis zu 33 000 Briefe mit einem Linearcode versehen. Ergänzt wird diese Technik durch eine Videocodiermaschine (VCM) und eine integrierte Anschriften- und Videocodiermaschine (ILVM). Sechs Feinsortiermaschinen (von AEG Electrocom) fahren je nach Softwareprogramm und Fächerzahl über 200 Ausscheidungen. Auch diese Maschine hat einen Durchsatz von 33 000 Briefen je Stunde, wird aber von drei bis vier Leuten bedient. Für nicht maschinenfähige Belege existiert weiterhin eine kleine Handverteilung. Für Großbriefe entwickelte die Firma Siemens eine zweistöckige Briefsortiermaschine, die 15 000 Briefe je Stunde bearbeiten kann. Vier dieser Anlagen bewältigen die Frankfurter Post.

Die Fächer der Großbriefsortieranlage sind auf zwei Etagen angeordnet

 

Beim Großteil der Briefe, die der Maschine zugeführt werden, kann diese die Adresse selber lesen. Zusätzlich gibt es Hand- und Viedeocodierung. Bei Maxibriefen ist das Volumen geringer, daher gibt es nur in den großen umlauforientierten Briefzentren wie Frankfurt eine oder zwei grüne Maxibriefsortieranlagen (BZ 90 - Hersteller Eisenmann Fördertechnik), die ähnlich einem Schaufelradbagger funktionieren: Jeder Teller des Förderbandes befördert einen Maxibrief zu seinem Sortierfach.

Die automatische Maxibriefsortieranlage im Briefzentrum

 

Die Kapazität dieser Maschine beträgt 10 000 Briefe je Stunde, wobei hier für jede Sendung die Postleitzahl per Hand eingegeben wird. Zu jedem Bereich gehört ein kleinerer Handsortierbereich für die nicht maschinell verarbeitbaren Briefe. Aufgrund neuerer Software und Einsatz eines Sekundärscanners wird die Leserate beim Erkennen der Anschriften allerdings ständig verbessert.

Zur Vorbereitung auf die weitere automatische Bearbeitung werden in Frankfurt drei sogenannte Briefordnereien genutzt, die die Post nach Formaten trennen. Standard- und Kompaktbrief werden kantengleich in eine Aufstellanlage mit integrierter Stempelmaschine eingespeist. Je Briefordnerei handelt es sich um eine AEG Electrocom Stempelmaschine AM 990 (34 500 Briefe je Stunde). Daneben gibt es mehrere Handrollstempel sowie einen oder mehrere Hammerstempel für die Stempelung der Groß- und Maxibriefe sowie der nicht maschinenfähigen Briefe. Da in der Briefordnerei des Briefzentrums alle Briefe aus Briefkästen der näheren Umgebung gestempelt werden, wurde der Stempelort, also das Briefzentrum XY, für die Stempelbeschriftung gewählt. XY steht für die ersten beiden Stellen des Einzugsgebietes des Briefzentrums. Im Falle von Frankfurt findet sich hier stets die "60", obwohl auch die Post aus der Region 61 bearbeitet wird. So wie früher bei den Mühlradstempeln ist es heute also nötig, Zahlen Orten zuordnen zu können, um den Aufgabeort zu kennen.

Da die Briefordnerei sehr personalintensiv ist, wurde vor zwei Jahren im Briefzentrum Köln ein kurzer Versuch mit einer vollautomatisierten Briefordnerei (ABO) durchgeführt, der nicht erfolgreich war. Aufbauend auf diesen Kenntnissen werden derzeit in allen Briefzentren so genannte teilautomatisierte Briefordnereien der Firma Boewe und Howell installiert, die je Maschine drei Arbeitskräfte weniger benötigen.

In dem Seitengebäude der ebenerdigen Produktionshalle in der Gutleutstraße (22 600 Quadratmeter) befinden sich Büro-, Sozial- und Sanitärräume, ferner die Haustechnik, die Großannahme, die Verpackungsstelle, der Videocodierraum und die Technikstelle.

Links Teil des Briefzentrums und hinten das separate Verwaltungsgebäude

 

Das Frankfurter Zentrum ist für bis zu 4,5 Millionen Briefe täglich ausgelegt und hatte bei seiner Eröffnung 1200 Beschäftigte. Ergänzt wird das Briefzentrum durch ein separates Verwaltungsgebäude. Anfangs war in diesem Verwaltungsgebäude die zugehörige Niederlassung untergebracht. Im Rahmen einer Umstrukturierung wurde jede zweite Niederlassung aufgelöst und mit einer anderen zusammengefasst. So wird in der Niederlassung Frankfurt auch das Offenbacher Briefzentrum mit verwaltet.

 

Postfreistempelungsbesonderheiten aus Frankfurt

Für die Rotstempelung standen zunächst eine Nagler-Stempelmaschine und zwei Klüssendorf-Maschinen zur Verfügung. In Frankfurt gab es außerdem schon seit mindestens 1995 einen Vorläufer des heutigen Frankierservicees und Nachfolger der Rotstempelung mit kundenspezifischen Stempelklischees für die Ausandspost der vier Großkunden Degussa, BFG Bank, City Bank und Société Generale. Gestartet wurde dieser Versuch bei der Niederlassung 60327 Frankfurt am Main 3. Er wurde dann im Briefzentrum fortgeführt und mittlerweile ausgebaut. Dort kamen weitere Großkunden wie die Frankfurter Messe dazu. Im Laufe der Jahre wurden für diesen Service öfter unterschiedliche umgerüstete Absenderfreistempelmaschinen von Pittney Bowes, Stilow oder Neopost eingesetzt. Dies führt in Frankfurt zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Stempelklischees und Farben. Als neueste Version wird seit kurzem eine Neopost-Maschine mit zweidiemensionalen Barcode (2-D-Barcode) für den Frankierservice eingesetzt.

 

Philatelistische Spuren

In der Briefordnerei existieren diverse Stempel, aber genau zu erfassen, wann wo welche Stempel wie lange eingesetzt wurden, ist eine mühsame Kleinarbeit, da keine Unterlagen oder gar Archive zur Auswertung vorliegen. Besonders schwierig sind so genannte Innendienststempel nachzuweisen, die beispielsweise nur in der Wertstelle für die anfangs noch benutzten Beutelfahnen oder Ladelisten eingesetzt wurden. Sehr schwierig ist es, Stempel aus der Verpackungsstelle eindeutig zuzuordnen, da hier auch ältere Stempel von früheren Dienststellen weiter benutzt wurden und aus dem Text nicht eindeutig hervorgeht, dass der Stempel noch im Briefzentrum eingetzt wurde. Leichter ist natürlich das nachweisbar, was am Großannahmeschalter passiert, da man dort jederzeit während der Öffnungszeiten einliefern kann - selbst wenn es nur ein Brief ist - und eine Quittung vom EPOS-System bekommt. So gibt es für den Inlandsbereich einen neuen Gummistempel "Deutsche Post AG - Entgelt bezahlt - Briefzentrum 60", während der internationale Stempel im Text nicht auf das Briefzentrum hinweist. Vor den heutigen Strichcodelabeln gab es noch die R- und V-Zettel. Da die Umstellung dieser Zettel auf Strichcodelabel erst im Sommer 1997 erfolgte, gab es am Großannahmeschalter für kurze Zeit noch ungewöhnliche Zettel mit "Briefzentrum 60"-Vermerk und einen entsprechenden Paginierstempel. Es wurden sogar für einige Selbstbucher entsprechende Zettel gedruckt.

Wertbrief vom Tag der Eröffnung des Frankfurter Briefzentrums

 

Erwähnenswert ist auch ein ungewöhnlicher Innendienststempel für Beutelfahnen, der in der Anfangszeit in der Eilstelle genutzt wurde. Selten ist der "Nachträglich entwertet"-Stempel mit Briefzentrumsvermerk. Da an Großannahmeschaltern Absenderfreistempelmaschinen angemeldet und betreut werden können, gibt es mittlerweile entsprechende Maschinen, die in der einen oder anderen Form einen "Briefzentrum 60"-Vermerk enthalten. Vorausentwerter sind allerdings wenig bekannt, da es nur ungefähr 300 Maschinen in Deutschland gibt. Die erste bisher bekannt gewordene Maschine mit einem Briefzentrumsvermerk stammt von der Arbeitsgemeinschaft Frankfurter Briefmarkensammlervereine und weist statt einer Ortsangabe auf das Briefzentrum 60 hin. "Entgelt bezahlt"-Eindrucke mit "Briefzentrum 60"-Vermerken sind mittlerweile sehr häufig zu finden. Werbestempel zum Briefzentrum 60 existieren von der Eröffnungsfeier sowie den beiden Tagen der offenen Tür am 1 Juli 2000 und am 19. Juni 2004. Tagesstempel aus dem Bereich des Briefzentrums 60 von Zustellstützpunkten mit Unterscheidungsbuchstaben "ZSP" sind bisher nicht bekannt, aber diverse Gummistempel mit ZSP-Angaben. Den besten Eindruck davon, wie ein Briefzentrum funktioniert und wie die Post heute mit modernster Technik und Logistik bearbeitet wird, ermöglicht eine persönliche Besichtigung. Nutzen Sie die Möglichkeit, an einer Führung teilzunehmen. Weitere Informationen zu Briefzentren aus postgeschichtlicher und philatelistischer Sicht bieten vier Arbeitsgemeinschaften, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Danenben gibt es ein entsprechendes Netzwerk von Sammler in Deutschland, die sich diesbezüglich austauschen.

 

Literaturhinweise:

Günter Borchers: Brief 2000 - Die High-Tech-Offensive der Briefpost, herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft Post- und Absenderfreistempel e.V., 280 Seiten, Datenstand 2000

Peter Kretzschmar: Briefe gehen neue Wege, Heft 154 der neuen Schriftenreihe der Poststempelgilde e.V., Datenstand 1999