Labels - ATM - Briefmarken - Postwertzeichen?

Humorvolle Aspekte zum Streit um des Kaisers Bart

(Gastbeitrag von Wolfgang Maassen - erschienen im APHVmagazin Nr. 3 Mai/Juni 2021)

Ergänzende Vorbemerkung: Der Betreiber der Webseite dankt dem Autor Wolfgang Maassen für die Erlaubnis, den obigen Artikel, erschienen dieser Tage im APHV Magazin (Das Nachrichtenblatt des Briefmarkenhandels) hier im Original als Gastbeitrag auch veröffentlichen zu können, da ja nicht jeder Zugriff auf dieses APHV-Magazin hat.

Und es begab sich, dass Hermann, der Cherusker, zur ASCAT-Keule griff, um Klein-David beizubringen, dass ein neumodisches Trendprodukt namens ATM doch wohl keine normale Briefmarke sei. Eher ein Hirngespinst verirrter junger Träumer und schlafloser Seelen, die sich im Dickicht des dunklen Briefmarkenwaldes verirrt hatten. Hermann, größter Influencer und Marktbeherrscher, trat als Saubermann der Philatelie in Erscheinung, sorgte für Ordnung im Chaos, streckte seine Krakenarme seinem ASCA-Club-Freund Hans in München entgegen, und gemeinsam beschlossen sie, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: ATM sind keine gewöhnlichen Briefmarken, die eine Hauptnummer im Katalog verdient haben! - So geschehen vor rund 40 Jahren.

Und heute? 40 Jahre danach? Hermann, der Cherusker, lebt nicht mehr. Aber er hat Nachfolger gefunden. Die heißen nur anders und sitzen in Bonn. Sie haben heute das Monopol auf neue Produkte. Sie bestimmen, wie diese heißen und wie sie Hans junior, der längst kein Junior mehr ist, im Katalog aufnehmen soll. Eine ASCAT wird dazu nicht mehr gebraucht: sie ist mit Fürst Hermann in Frieden entschlafen.....

Soweit der humoristisch gemünzte Vorspann, bei dem sich der Leser fragen wird, worum es hier eigentlich geht. Reden wir also Klartext: Anfang der 1980er Jahre beschäftigte die Frage, ob ATM (Postwertzeichen aus Wertzeichendruckern, sog. Automatenmarken) überhaupt als Briefmarken zu bezeichen seien, die Gemüter. Der Autor hat dies 1986 in einem Buch dokumentiert (1). Die ASCAT setzte durch, diese neue Briefmarken-Generation in die Kataloganhänge zu "verbannen", also nicht in die Hauptkatalogisierung aufzunehmen. Hermann Walter Sieger setzte sich hierfür ebenso ein wie all die damaligen Katalogmacher, wobei das leitende Argument primär darin zu finden war, dass der Handel diese ATM verschiedenster Länder nicht in hinreichender Zahl für von ihnen zu beliefernde Abonnenten erhalten konnte.

Dies hat sich zwar über die Jahre geändert, ATM wurden zunehmend akzeptiert - auch dies hielt der Autor in einer Publikation fest (2) -, aber das "Stigma" des "Nicht-Normal-Status" blieb, ebenso die Katalogisierung in den Kataloganhängen.

Das alles ist "Schnee von gestern": Über die damaligen Vorgänge hat sich der Autor bei ASCAT-Treffen in Monaco in den 1990er-Jahren häufig mit Hermann Walter Sieger und Hans Hoenester ausgetauscht. Später konnte man gemeinsam darüber nur eher lächeln. Der Markt hat eben seine eigenen Gesetze.

Damit zur Gegenwart; Da veröffentlichte der fach- und sachkundige Journalist Jürgen Olschimke zusammen mit dem Kollegen Stefan Jacob einen Artikel in der "philatelie" (3) ("Poststationen mit neuer ATM"), der auf Widerspruch bei der Deutschen Post stieß, die sich sogar bemüßigt fühlte, einige Aussagen richtig zu stellen.

Denn die "Frankierlabels", die die seit einigen Monaten erprobten neuen Poststationen gegen Entgeltzahlung produzieren würden, seien eben keine ATM, sondern Frankierlabel ( oder einfach "Label"), damit also auch keine Briefmarken. Deshalb sie auch nicht über die Versandstelle der Deutschen Post in Weiden geliefert. Außerdem seien sie nicht, wie von Olschimke/Jacob behauptet, unbegrenzt gültig, sondern nur für drei Jahre zu verwenden (das Produktionsdatum wird auf den "Labels" mit ausgedruckt) und "Mischfrankaturen" mit anderen Labels seien ausgeschlossen. Zudem basieren diese neuen Produkte, die ja für die Brieffrankierung vorgesehen seien, auf der Internetmarke und es seien nur digitale "Frankiervermerke" (4).

Als "Otto Normalverbraucher" hat der Autor nun ein Verständigungsproblem, denn durch diesen Sprachurwald vermag er kaum noch durchzublicken. Also schaute er sich solch eine Poststation an. Und siehe da! Dort steht auf einem Riesenaufkleber eindeutig: Hier können Sie Brief- und Paketmarken kaufen!"

Und er las sich die Pressemitteilung der Deutschen Post vom 16. Februar 2021 noch einmal durch. Auch dort stand eindeutig: Der Kauf von Brief- und Paketmarken ist an der neuen "Poststation" ebenso möglich wie der Versand von Briefen und Paketen."

Eindeutiger kann die Aussage nicht sein und man braucht keine Lupe, um sie lesen zu können!
Eindeutiger kann die Aussage nicht sein und man braucht keine Lupe, um sie lesen zu können!

Ja weiß denn die Deutsche Post nicht, was sie eigentlich anbietet?

Vergleicht man nämlich einmal die zuletzt erschienene Ausgabe der ATM MiNr. 10 mit den neuen "Briefmarken" aus den Poststationen wird einem Laien der Unterschied bestenfalls optisch (fehlende zusätzliche Abbildung) auffallen. Ansonsten sind die Informationen weitgehend identisch, also Wertangabe, Produktionsdatum (bei der Poststation um Tagesdatum ergänzt), Matrixcode etc.

Ein Bildvergleich: Rechts die ATM MiNr. 10, links das neue Produkt aus der Poststation
Ein Bildvergleich: Rechts die ATM MiNr. 10, links das neue Produkt aus der Poststation

Natürlich kann ein Herausgeber - in diesem Fall die Deutsche Post - die Dauer der Gültigkeit festlegen. Das gab es früher schon in der Geschichte der BRD, das gibt es heute noch in manchen Ländern. Das ändert aber, was die philatelistische Sichtweise angeht, nichts am Prduktstatus. Die Deutsche Post mag auch die Belieferung mit diesen Produkten über ihre Versandstelle ausschließen. Auch das gab und gibt es heute noch in so manchen Ländern der Welt. Eine Relevanz für eine Katalogisierung und für den Produktstatus hat dies ebenfalls nicht.

Man wird auch kaum der Deutschen Post das Recht absprechen wollen, die von ihnen vertriebenene oder bei ihnen erhältlichen Produkte mit völlig neuen Begriffshülsen zu versehen, die immer weniger aussagen, wie z.B. Labels. Sie mag ja auch solche "Labels" als "Rosinen" bezeichnen oder als "fliegende Untertassen". Jedem PR-Strategen steht es zu, sich mit seiner vermeintlichen sprachlichen Kunstfertigkeit zu profilieren. Aber auch hier gilt: Eine stringente und direkte Relevanz für die Philatelie hat all dies nicht.

Die Deutsche Post kann der Philatelie nicht vorschreiben, was eine Briefmarke ist und was nicht. Die Kriterien für Postwertzeichen sind aus philatelistischer Sicht längst festgelegt und heute noch gültig. Dazu zählen u.a. die Verwendungsmöglichkeit für den vorgesehenen Zweck (also z.B. als Frankatur eines Briefes, einer Postkarte etc.), dies an jedem Ort im jeweiligen Gültigkeitsbereich und an einem Tag der Wahl. Die Wertzeichen aus den Poststationen werden ähnlich wie ihre "Verwandeten", die ATM, aus Wertzeichendrucker vor Ort nach Entgelteingabe produziert. Sie weisen alle gattungstypischen Merkmale auf. Deshalb ist die Aussage der Deutschen Post "Frankierlabel sind keine Briefmarken" - philatelistisch gesehen - eindeutig falsch.

Es sind Automatenmarken, auch wenn sie sehr schlicht und funktionell aussehen. Das galt auch bereits früher für so manche ATM bestimmter Länder. Von Bedeutung für ihren Produktstatus war auch dies nicht.

Nochmals - für
Nochmals - für "Blinde"!

Warum ihre Gültigkeit auf drei Jahre beschränkt wird, erschließt sich nicht, ist aber in diesem Kontext relativ belanglos. Ebenso die Tatsache, dass sie nicht über die Versandstellen erhältlich sind. Denn selbst dies ist ja kein Kriterium für die Einstufung des Produktes, sonst wären die MICHEL-Kataloge sicherlich um tausende Seiten dünner. Denn so manche sog. "Briefmarke" hat einen Brief in dem Land, das auf ihr gedruckt ist, wohl nie gesehen (siehe: Agenturausgaben etc.).

Der "Streit um des Kaisers Bart", der hier die genannten Autoren des "philatelie"-Artikels zu einer erneuten Stellungnahme und Richtigstellung aus ihrer Sicht bemüht, ist historisch gesehen, nur ein Schmunzeln wert.

Hinweis

Der Autor dankt dem Kollegen Jürgen Olschimke für die Abbildungen und Vorlagen einiger Dokumente. Gleichzeitig sei explizit betont, dass dieser Beitrag nicht als offizielle Stellungnahme des APHV anzusehen ist. Für einen April-Scherz, kommt er allerdings auch zu spät!

Quellen

(1) Wolfgang Maasen: Als die Automaten laufen lernten. "Durchblicke" in die ATM-Philatelie 1976 - 1986, Köln 1986

(2) Wolfgang Maassen: Der Siegeszug der Automatenmarke. Eine Studie zur Philatelie der Zukunft, Schwalmtal 1994

(3) Jürgen Olschimke / Stefan Jacob: Poststation mit neuer ATM, in: philatelie, Nr. 526 April 2021, S. 26-32

(4) philatelie, Nr. 527/Mai 2021, S. 66